Wer dieser Tage mal mit offenen Augen durch unsere Hauptstadt läuft und dabei auf neuentstehende Architektur und die vielen Bauprojekte achtet, dem läuft es wahrscheinlich kalt den Rücken herunter! Ich meine hier natürlich nicht Berlin Mitte, die Museumsinsel oder die Restaurierung irgendwelcher Kirchen, das wäre allzu vermessen. Nein, vielmehr halte ich den Trend für bedenklich, bei Neubauten auf jeglichen Charakter und damit auf Ausstrahlung und die gewisse Würde zu verzichten. Was das bedeutet?
Nun, man schaue sich nur mal das, ich weiß schon tausendmal kritisierte, Gelände rund um den Berliner Hauptbahnhof an. Abgesehen davon, dass diese wichtige Station, wahrscheinlich die wichtigste in ganz Deutschland, daherkommt wie ein Baucontainer im Großformat, auch die Umgebung wirkt wie ein einfallsloses Reißbrett eines gelangweilten Architekturstudenten.
Das Problem mit der Planung
Berlin war und ist an manchen Ecken immer noch, ziemlich zerstört gewesen und wurde in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit nicht sonderlich gepflegt. Im Westen der Stadt dominieren deshalb die üblichen Stile der Kaufhausarchitektur und werden auch auf Wohnbauten übertragen, während im Osten sozialistischer Nonsens und Pomp aufgeschichtet wurden. Nach der Vereinigung hatte Berlin ein paar Jahre das morbide Flair der Ungewissheit, das sicher faszinierte, im Ganzen aber durch eine eifrige Stadtplanung schnell überwunden werden sollte!
Diese Planung aber ist ein kleines Problem, denn Städte wachsen bekanntlich am besten, wenn sich Angeberei, Individualismus und Zweckhaftigkeit mischen, doch in Berlin scheint die Planung auf den Zweck reduziert zu werden und vor allem Dauerhaftigkeit auszuschließen. Warum eigentlich? Ist das nur Spekulation und plant man in den verantwortlichen Büros wirklich damit, alles Errichtete bald wieder abzureißen?
Oberflächlichkeit als Programm
Möglicherweise, aber das ist wirklich nur eine Vermutung, gibt es in Deutschland und in Berlin im Besonderen immer noch eine Art Scheu vor Beständigkeit. Wer sich Wurzeln und Herkunft beruht und solches auch in der Architektur zum Ausdruck bringen möchte, der wird nicht selten als gestrig bezeichnet und wir alle wissen, was eine solche Klassifizierung in Deutschland wirklich meint! Berlin soll vielmehr beliebig bleiben, ohne Größe, ohne Ausstrahlung, stets bereit, die eigenen Ansichten zu verwerfen!
Man laufe zum Vergleich mal durch Paris, das als Stadt wie selbstverständlich auf Dauer und gern auch ein bisschen oder ein bisschen mehr Pomp setzt. Was loben die Leute an Berlin? Freiheit, Kreativität und Unverbindlichkeit! Was an Paris? Charakter, Ausstrahlung und Stil! Das klingt sicher vereinfacht, doch wünsche ich mir auch in Deutschland den Mut zur architektonischen Größe und damit meine ich bestimmt nicht den hunderte Millionen teuren Wiederaufbau des Stadtschlosses! Das ist dann auch wieder typisch: Aus Mangel an Ideen, wirklich dauerhaft Schönes schaffen zu wollen und zu können, denken die Verantwortlichen lieber an den Schutt der Geschichte und planen die Wiederrichtung verstaubter Epochen. Langweilig, schal und vor allem unverbindlich, na klar. Vielleicht ja auch: Ungefährlich?
Der Masochismus greift um sich in Berlin und zugleich ein absurder Hedonismus, was es in dieser Kombination wohl nur hierzulande gibt. Das einzige neu errichtete Bauwerk, das wirklich Ausstrahlung und eine Botschaft vermittelt, ist das Holocaust Mahnmal zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor, doch dieses geht eben auf ein tiefes Trauma der Deutschen zurück und nicht auf die Planung von Stadtarchitekten und einfallslosen Planern im Roten Rathaus.